JOCHEN ROBES ÜBER BILDUNG, LERNEN UND TRENDS

Agiles Lernen im Unternehmen

Wenn ich heute von „agilem Lernen“ lese oder höre, werde ich neugierig und frage mich: Steht „agiles Lernen“ hier als Schlagwort stellvertretend für „new learning & new work“ oder steckt dahinter eine konkrete Methode, so etwas wie „Scrum fürs Lernen“? In diesen Tagen ist nun ein Buch zum Thema erschienen und damit wieder die Möglichkeit, eine Antwort auf meine Frage zu finden. Und um ein Ergebnis gleich vorweg zu nehmen: Das Pendel schlägt in Richtung Methode und damit „Scrum fürs Lernen“ aus.

Aber der Reihe nach. Das Buch „Agiles Lernen im Unternehmen“ fasst die Erfahrungen aus verschiedenen Forschungs- und Förderprojekten zusammen, an denen unter anderem das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO Stuttgart, das TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen der Universität Ulm und die Beuth Hochschule für Technik Berlin mitgewirkt haben. Es ist als Open-Access-Publikation bei Springer erschienen.

Das Buch hat eine klare Struktur: Zwei Kapitel führen in die Methode und das Format „Agiles Lernen“ ein. Dann folgen sieben betriebliche Umsetzungen. Und dann noch sechs Kapitel, die sich „übergreifenden Themen“ widmen – von den organisationalen Rahmenbedingungen bis zur Frage nach der „Zukunft des agilen Lernens in der wissenschaftlichen Weiterbildung“. Eingebettet sind Buch und Konzept in die bekannten gesellschaftlichen Entwicklungen (VUCA) und die sich daraus ergebenden Anforderungen an neue Formen des Lernens – nämlich „Lernangebote, die ein Abbild der Arbeitswelt der Zukunft darstellen“ (S.17).

Was habe ich aus der Lektüre mitgenommen?

1) Agiles Lernen wird hier als „didaktisches Rahmenkonzept“ vorgestellt, das sich methodisch bei Scrum, einem Arbeitskonzept aus der Softwareentwicklung, bedient. Das darf durchaus sehr konkret verstanden werden und schließt Prinzipien, Abläufe (Zyklen von Planung, Etappen, Reviews und Retrospektives), Rollen (Lernteam, Auftraggeber, fachliche und methodische Begleitung) sowie zentrale Instrumente (Lernaufgaben und Kanban-Board) ein.

Einerseits gibt „agiles Lernen“ also eine sehr formale, sehr aufwändige Struktur für entsprechende Lernprozesse vor. Andererseits sind Selbststeuerung und „Lernfreiräume“ zentrale Säulen dieses Konzepts. Also: arbeitsintegriert, praxisorientiert: ja; informell: eher nein … 

2) Die betrieblichen Beispiele, in denen „agiles Lernen“ erprobt wurde, sind sehr speziell und heterogen. Verschiedene Branchen, unterschiedliche Zielgruppen, wechselnde Lernziele und Themen, mal umfassen die Lernprojekte wenige Wochen, mal zwei Jahre. Kurze Steckbriefe, Schaubilder, aber vor allem die wiederkehrenden Begrifflichkeiten, Rollenzuschreibungen und Prozessschritte bieten einen roten Faden über alle Projekte hinweg. 

Was auffällt: Da sich „agiles Lernen“ konsequent an den Arbeitsprozessen und -anforderungen der Unternehmen ausrichtet, liegen hier auch die größten Schwierigkeiten in der Umsetzung: Wechselnde Arbeitsbedingungen, Arbeitsbelastungen und Prioritäten beeinflussen agile Lernprozesse noch unmittelbarer als die Lernprozesse in klassischen Bildungsformaten.     

3) Die AutorInnen betonen, dass agiles Lernen „eine von vielen möglichen Lernformen“ (S. 101) darstellt. Es muss zum Unternehmen, zur Zielgruppe und zum Thema passen. Geht da noch mehr, könnte man sich fragen? „Agiles Lernen“ als Vision oder Zielbild der Lernenden Organisation? So mutig sind die AutorInnen (noch) nicht, sondern fragen eher nach der sinnvollen Einbettung des Konzepts in die interne Weiterbildung (S. 96).

Abschließend: Was „agiles Lernen“ für mich von anderen Lernkonzepten abhebt, ist die konsequente Ausrichtung auf konkrete Arbeitsaufgaben und den Erwerb von Handlungskompetenz, auf iterative Lernschritte sowie auf fortwährende Reflexion erlebter Erfahrungen. Auf der anderen Seite sind es hochstrukturierte, aufwändige Prozesse, die sehr eng mit einer bestimmten Form des Arbeitshandelns verbunden sind. Aber das Buch wird sicher nicht das letzte zum Thema sein …
Jörg Longmuß, Gabriele Korge, Agnes Bauer und Benjamin Höhne (Hrsg.), Berlin: Springer, 2021