Bildung mit Weblogs: Einmalige Chance für dynamischen Diskurs
Die Popularität von Weblogs hat wesentlich dazu beigetragen, dass wir heute das Internet anders wahrnehmen und nutzen. Die Rede ist von Web 2.0, von Partizipation und User-Generated-Content. Nur konsequent, dass Weblogs auch in der Weiterbildung zunehmend Aufmerksamkeit finden: zum einen als Ergänzung formaler Lernangebote, zum anderen als Instrumente des persönlichen Wissensmanagements.
Erschienen in Weiterbildung, 2/ 2008, S.24-26
Bertalan Meskó ist 23 Jahre alt und Medizinstudent an der Universität von Debrecen in Ungarn. Sein Interesse gilt der Genetik und vor allem darüber schreibt er seit dem 17. November 2006 auf „Scienceroll“, seinem Weblog. Seine Beiträge auf „Scienceroll“ werden im Durchschnitt von über 1.000 Nutzern täglich gelesen und, da er auf Englisch schreibt, auch international in Fach- und Wissenschaftsmagazinen wahrgenommen.
Auf „Techlearning blog“ schreibt eine Gruppe von erfahrenen Bildungsexperten, Lehrern und technischen Administratoren über ihre Begegnungen mit den neuen technischen Möglichkeiten in der Weiterbildung. Die meisten Autoren führen ein eigenes Weblog, aber auf „Techlearning blog“ wechseln sie sich täglich ab, um ihre Erfahrungen und Gedanken zur Diskussion zu stellen. Wie die regelmäßigen und zahlreichen Kommentare der Leser zeigen, sind das Weblog und seine Autoren ein fester Bestandteil der internationalen Bildungscommunity.
Das Projekt „Classroom 2.0″ ist eine Community für alle, die ein Interesse an Web 2.0 und kollaborativen Technologien in der Bildung haben. Die Community von „Classroom 2.0″ umfasst über 5.000 Mitglieder. „Classroom 2.0″ nutzt selbst alle Möglichkeiten, um den Informationsaustausch ihrer Mitglieder zu unterstützen: Jedes Mitglied kann zum Beispiel ein persönliches Profil einrichten und sich mit seinen Arbeitsschwerpunkten und Interessen vorstellen; es kann Informationen in das „Classroom 2.0 Wiki“ schreiben und es kann seine Meinung in einem Beitrag auf dem Weblog von „Classroom 2.0″ publizieren.
„Scienceroll“, „Techlearning blog“ und „Classroom 2.0″ sind drei Gewinner der edublog awards, die im Dezember 2007 bereits zum vierten Mal in 14 Kategorien verliehen wurden.
Einfach, bequem, vernetzt
Weblogs – oder auch Blogs – sind Webseiten, auf denen egelmäßig Inhalte in Form von Texten, Bildern, Sound oder Videos publiziert werden. Der Name „Weblog“ geht auf seinen ursprünglichen Verwendungszweck zurück: Weblogs wurden genutzt, um persönliche Erfahrungen, Informationen und Links auf andere Webseiten in einer Art Logbuch festzuhalten. Geblieben ist bis heute die chronologische Anordnung der einzelnen Beiträge, wodurch sich Weblogs häufig auf den ersten Blick erkennen lassen. Erweitert haben sich die Ziele von Weblog-Autoren: Neben den privaten Journalen gibt es journalistische und politische Weblogs, Experten, Berater, Mitarbeiter und CEOs, die bloggen.
Der aktuellste Beitrag eines Weblogs ist jeweils oben auf einer Seite sichtbar. Was die Attraktivität von Weblogs ausmacht, sind die verschiedenen Wege, auf denen sie die Vernetzung einzelner Beiträge sowie die ihrer Autoren und Leser unterstützen:
- Leser haben häufig die Möglichkeit, einzelne Beiträge zu kommentieren.
- Jeder Beitrag ist mit einer eigenen URL (Permalink) versehen, so dass direkt und dauerhaft auf ihn verlinkt werden kann.
- Autoren verweisen auf die von ihnen favorisierten Weblogs häufig in ihrer Blogroll.
- Die Mehrzahl der Weblogs unterstützt RSS (Really-Simple-Syndication), ein Format, das von Newsreadern gelesen und so von anderen Nutzern abonniert werden kann.
Diese Merkmale tragen wesentlich zur Entstehung eines Netzwerks bei, das auch als „Blogosphere“ bezeichnet wird. Die Popularität und Verbreitung von Weblogs haben zusätzlich unterstützt, dass einfache Content-Management-Systeme es auch technisch Unerfahrenen ermöglichen, innerhalb weniger Minuten und ohne Kosten in einem professionellen oder semi-professionellen Layout zu veröffentlichen.
Gegenwärtig (Januar 2008) erfasst der Weblog-Suchdienst Technorati über 112 Millionen Seiten.
Die pädagogische Herausforderung
Weblogs haben wesentlich dazu beigetragen, dass die Ideen von Web 2.0 in viele gesellschaftliche Räume Eingang gefunden haben. Ihre Verbreitung und einfache Handhabung haben schon früh Bildungsexperten und Pädagogen darüber nachdenken lassen, welche neuen Möglichkeiten sich hier für das Lehren und Lernen öffnen:
- Baumgartner (2005) schreibt: „Die vorherrschende Lernkultur basiert (leider) immer noch auf der Bewertung individuell erstellter Lernergebnisse (z.B. ein Aufsatz, ein Bericht, eine Zeichnung, ein Computerprogramm etc.) und nicht die Beobachtung und Unterstützung des Konstruktionsprozesses (einen Aufsatz, Bericht etc. verfassen).“ Hier können Weblogs ansetzen: Denn die Beiträge in einem Weblog bilden einen Prozess ab, in dem die Auseinandersetzung eines oder mehrerer Autoren mit einer Sache über einen bestimmten Zeitraum sichtbar wird. Wie in einem Lerntagebuch wird eine Entwicklung dokumentiert.
- Das Lernen in der Gruppe und im Austausch mit anderen ist ein wesentlicher Bestandteil individueller wie organisatorischer Entwicklungsprozesse. Durch ihre zentralen Merkmale – das einfache Publizieren und Kommentieren sowie das automatische Vernetzen –
können Weblogs die gemeinsame Auseinandersetzung mit einem Thema unterstützen. Viele der heute diskutierten Einsatzszenarien von Weblogs setzen genau an diesem Punkt an. - Der Übergang vom „Read-only“- zum „Read-and-Write“-Web, der aktive Nutzer und User-Generated-Content sind Begriffe, mit deren Hilfe Web 2.0 häufig beschrieben wird. Weblogs als wesentliche Bausteine von Web 2.0 unterstützen die Bemühungen, die klassische Rollenteilung zwischen Lehrern und Lernenden aufzuheben. Dem aktiven Nutzer entspricht der aktive und selbst organisierte Lerner, der selbst ein Thema entwickelt und in der Diskussion mit anderen weiterführt.
Das Potenzial von Weblogs trifft sich mit verschiedenen Entwicklungslinien, die den Bildungsdiskurs prägen: Da ist zum einen auf die Programmatik des lebenslangen Lernens zu verweisen und das Bestreben, Bildung und Lernen zu entgrenzen. Lernen soll nicht nur an den klassischen Lernorten und in bestimmten Lebensphasen stattfinden, sondern uns ein Leben lang begleiten. Damit einher geht die wieder aufgeflammte Aktualität des informellen Lernens, die uns ebenfalls daran erinnert, dass sich Lernen zum Großteil außerhalb der traditionellen Bildungsinstitutionen und ihren formalen Lernangeboten abspielt. Auf einer lernpsychologisch- didaktischen Linie treffen sich die neuen
Möglichkeiten des Internets mit konstruktivistischen Ideen, die die Selbsttätigkeit des Subjekts als Voraussetzung aller Lernprozesse betonen. Lerntheorien wie der Connectivism von Siemens (2006) bauen auf der Vernetzung des Internets auf und beziehen damit Weblogs direkt in ihre Überlegungen zum Lernen in der Gegenwart ein.
Formale Lernangebote ergänzen
Durch ihre Grundfunktionalität, die einfach, schnell und flexibel eingesetzt werden kann, ergeben sich verschiedene Anwendungsmöglichkeiten für Weblogs in der Weiterbildung. Sie eignen sich vor allem, um formelle Lernszenarien zu ergänzen, in deren Mittelpunkt das Präsenz- oder
Online-Seminar steht.
Das Weblog kann zum Beispiel die zentrale Kommunikationsplattform eines Kurses bilden, über die vom Kursleiter Materialien, Arbeitsaufgaben oder weiterführende Informationen bereitgestellt werden. Wenn gewünscht, nutzen die Teilnehmer die Kommentarfunktion, um Feedback auf die Beiträge des Kursleiters zu geben. Auf der nächsten Ausbaustufe erhalten auch die Kursteilnehmer Schreibrechte auf dem Seminar-Blog und können eigene Beiträge veröffentlichen. Im letzten Schritt führen die Teilnehmer ihre individuellen Weblogs, um ihre Materialsammlungen, Beiträge und Arbeitsergebnisse zu publizieren. Über das zentrale Weblog des Kursleiters sind diese Weblogs miteinander
verlinkt. Sowohl Kursleiter als auch die Kursteilnehmer nutzen die Kommentarfunktion der Weblogs, um wechselseitig Feedback zu geben. Durch das Einrichten eines persönlichen Newsreaders werden sie zudem automatisch über neue Beiträge auf den anderen Blogs der Kursteilnemer informiert (Röll 2005). Ein solches diskursorientiertes Einsatzszenario ist in Abbildung 1 dargestellt.
Von hieraus ist auch der Übergang zu informellen ELearning-Szenarien fließend: Während ein strukturiertes Web-based-Training in einer Selbstlernphase die Grundlagen eines Themas vermittelt, können Weblogs den Teilnehmern für die Dauer eines Kurses einen Kommunikations-
und Diskussionsraum eröffnen.
Weblog-Praxis
Erfahrungsberichte über den Einsatz von Weblogs liegen vor allem aus dem Hochschulbereich vor, wo der Einsatz jedoch häufig an einen einzelnen Kurs oder Dozenten gebunden ist (vgl. e-teaching.org/didaktik/ kommunikation/weblog/). Mehr und mehr Learning-Management-
Systeme bieten aber heute schon Erweiterungen an, die es ermöglichen, einen Kurs oder ein Online-Lernprogramm um ein Blog-Angebot zu erweitern. Private Bildungsträger und die betriebliche Weiterbildung tun sich dagegen noch schwer, systematisch Weblogs einzusetzen. Die
Gründe dafür können darin liegen, dass eine entsprechende Unternehmenskultur fehlt. Auch das Verfassen und Publizieren eigener Texte ist für Beteiligte häufig eine Hemmschwelle. Das Bildungsmanagement wiederum tut sich in Zeiten knapper Ressourcen schwer, den mit dem
Einsatz dieser Instrumente verbundenen Pflegeaufwand zu kalkulieren. Einig sind sich jedoch die meisten Bildungsexperten, dass nur in der Verbindung von formalen Lernangeboten mit kollaborativen Werkzeugen eine erfolgreiche und zeitgemäße Kompetenzentwicklung von Wissensarbeitern möglich ist (vgl. Erpenbeck/Sauter 2007). Rücken Wissensaustausch und Vernetzung ganz in den Vordergrund, wie in Communities of Practice, können Weblogs zu integrierten Bausteinen entsprechender Szenarien werden.
Persönliches Wissen managen
Lange bevor über den Einsatz von Weblogs in formellen Lernszenarien nachgedacht wurde, haben Wissensarbeiter das Instrument für sich entdeckt und in ihre tägliche Arbeit integriert. Heute hat sich für diese Einsatzform der Begriff Knowledge-Blogs etabliert. Für viele Experten
haben sich Weblogs als ein ideales Instrument erwiesen, um einfach und bequem Informationen zu organisieren und erste Ideen schriftlich festzuhalten. Man findet einen Hinweis im Netz, hält in einem Blogeintrag den entsprechenden Link fest, ergänzt ihn womöglich noch um einige
persönliche Kommentare und Stichworte (Tags) und ordnet den Hinweis einer oder mehreren Kategorien zu. Über die Suchfunktion des Weblogs und das Blogarchiv entsteht so ein individueller Informationsspeicher, der mit der Zeit zum Arbeits- und Lernjournal wächst.
Durch das Publizieren im Internet, das Kommentieren und Verlinken auf die Beiträge anderer Autoren hat sich in den letzten Jahren um einzelne Weblogs und bestimmte Themen ein lebendiger und dynamischer Diskurs entwickelt. Allein im deutschsprachigen Raum gibt
es zum Beispiel gegenwärtig (Januar 2008) über siebzig Weblogs, die sich regelmäßig mit Bildungsthemen auseinandersetzen. Für den einzelnen Autoren bieten Weblogs die Chance, seine Ideen öffentlich zu präsentieren, zu diskutieren und so über einen längeren Zeitraum ein Profil
zu entwickeln. Durch den typischen Aufbau von Weblogs mit ihrer intensiven Linkstruktur werden sie zudem von Suchmaschinen sehr gut erfasst.
Leser schätzen wiederum die Weblogs vieler Autoren als persönliche und authentische Kommunikationsquellen. Sie ergänzen heute auf vielen Gebieten die klassischen Informationsangebote der Fachbücher und -magazine und bieten eine ideale Plattform für aktuelle Diskussionen
und Trends. Newsreader, über die man Weblogs abonnieren kann und die es so ermöglichen, auch über eine große Zahl von Quellen den Überblick zu behalten, unterstützen diese Funktionen.
Literatur:
- Baumgartner, P.: Eine neue Lernkultur entwickeln: Kompetenzbasierte Ausbildung mit Blogs und E-Portfolios. In: Hornung-Prähauser, V. (Hrsg.): ePortfolio Forum Austria. Salzburg 2005, S. 33-38
- Downes, S.: Educational Blogging. EDUCAUSE Review, Jg. 39, 2004, September/ Oktober, S.14 – 26
- Erpenbeck, J./ Sauter, W.: Kompetenzentwicklung im Netz. New Blended Learning mit Web 2.0. Neuwied 2007
- e-teaching.org (www.e-teaching.org): Eintrag Weblog
- Richardson, W.: Blogs, Wikis, Podcasts, and Other Powerful Tools for Classrooms. Thousand Oaks 2006
- Röll, M.: Corporate E-Learning mit Weblogs und RSS. In: Hohenstein, A./ Wilbers, K. (Hrsg.): Handbuch ELearning. Köln 2005, S. 1 – 20
- Seufert, S./ Brahm, T.: „Ne(x)t Generation Learning“: Wikis, Blogs, Mediacasts & Co. – Social Software und Personal Broadcasting auf der Spur. St. Gallen 2007
- Siemens, G.: Knowing Knowledge. 2006
Direkt zur Zeitschrift „Weiterbildung“ und der Linksammlung zur Ausgabe 2/2008 hier.
2 Responses to “Bildung mit Weblogs: Einmalige Chance für dynamischen Diskurs”
Wow, besonders die erläuternden Grafiken sind wirklich gut gelungen und illustrieren die Ausführung optimal. Das vorgestellte Szenario ist wirklich interessant und schreit besonders für mich gerade danach weiter verfolgt zu werden, vielen Dank hierfür!
Ein wirklich sehr gelungener Beitrag. Die Ausführungen sind gut nachvollziehbar und ich werde versuchen es umzusetzen. Vielen Dank