Jochen Robes über Bildung, Lernen und Trends

Informelles Lernen und der Erwerb von Kompetenzen

2001 war es das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Günther Dohmen auf die Reise schickte. Heraus kam ein umfassender Bericht über das informelle Lernen, der bis heute eine wichtige Referenz geblieben ist („Das informelle Lernen. Die internationale Erschließung einer bisher vernachlässigten Grundform menschlichen Lernens für das lebenslange Lernen aller“).Jetzt liegt ein Nachfolger vor, dieses Mal herausgegeben vom österreichischen Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur und verfasst von Reinhard Zürcher (Pädagogisches Institut des Bundes in Wien). Was ist das Gemeinsame beider Arbeiten? Beide geben einen systematischen Überblick über den aktuellen Diskussionsstand, beide verzichten auf die Formulierung eines eigenen Ansatzes. Und damals wie heute bildet das Konzept des Lebenslangen Lernens das zentrale Motiv, sich mit dem informellen Lernen auseinanderzusetzen.

Der Unterschied zwischen beiden Arbeiten: Während Günther Dohmen 2001 auf vielen Gebieten nur von „ersten Ansätzen“ berichten konnte, kann Reinhard Zürcher aus dem Vollen schöpfen. Auf europäischer, nationaler wie regionaler Ebene ist informelles Lernen in unzähligen Projekten angekommen (ohne dass damit alle Fragen beantwortet wären!). Und kaum eine Bildungskonferenz kommt heute ohne eine entsprechende Sektion aus.

Das hat auch dazu geführt, dass in der vorliegenden Arbeit informelles Lernen und Kompetenzerwerb selbstverständlicher als noch vor sieben Jahren verknüpft werden. Die Struktur der Studie folgt dem Titel: In den ersten Kapiteln wird das informelle Lernen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Es wird in das Spektrum verschiedener Lernformen eingeordnet, seine Historie wird kurz geschildert, aktuelle Konzepte und ihre bildungspolitischen Träger werden vorgestellt (Kap. 1 und 2).

Die zweite Hälfte der Studie ist dem Kompetenzthema gewidmet: Von der Einführung des Kompetenzkonzepts (Kap. 4), über die Feststellung erworbener Kompetenzen und den damit verbundenen Fragen der Kompetenzmessung (Kap. 5) bis zur ihrer Anerkennung und Einordnung, z.B. in den Europäischen Qualifikationsrahmen (Kap. 6).

Einige Punkte, die sich durch die gesamte Studie ziehen: Da ist zum einen die Verknüpfung von formalem und informellem Lernen. Als Frage taucht sie an vielen Stellen der Studie auf und im letzten Kapitel (7) wird sie quasi als „Hausaufgabe“ den Bildungsakteuren mit auf den Weg gegeben. „Letzten Endes wäre also eine Lernkultur anzustreben, in der formales wie informelles Lernen Platz haben, das heißt, in der Lernende das ihren Interessen Entsprechende in der von ihnen gewünschten Weise unter menschenwürdigen Umständen lernen können, in der sie dabei unterstützt und in der ihre Lernergebnisse anerkannt werden.“ (S. 136)

Da ist zum anderen die Frage, wie viel Formalisierung das informelle Lernen (aber es könnte auch heißen: wir) verträgt und ob nicht auf diesem Wege weitere soziale und private Räume dem ökonomischen Kalkül unterworfen werden. Dazu gehört auch die Beobachtung des Autors, dass „in der Berufsbildung … heute die Kompetenz den Begriff der Bildung weitgehend abgelöst“ (66) hat.

Zuletzt: Auch den neuen Medien ist im Rahmen des Kompetenzerwerbs ein kurzes Kapitel gewidmet. Communities of Practice und Social Software werden erwähnt. Sie können „den Raum für informelle Lernaktivitäten … erweitern“ (77), wenn ihre Praxis heute auch noch wenig erforscht ist.
Reinhard Zürcher, Informelles Lernen und der Erwerb von Kompetenzen. Theoretische, didaktische und politische Aspekte. Materialien zur Erwachsenenbildung, Nr. 2/2007 (pdf)

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