Jochen Robes über Bildung, Lernen und Trends

Sozialstaat in Schleudergefahr

Der Zugriff auf diesen Artikel wird vielleicht in einigen Tagen schon gesperrt sein. Was bleibt, ist ein interessantes Argument: „Bildung ist wichtig, aber keine Wunderwaffe im Kampf gegen die Armut. Was zum individuellen Aufstieg taugen mag, versagt als gesellschaftliches Patentrezept. Wenn alle Kinder mehr Bildung bekommen, konkurrieren sie um die wenigen Ausbildungs- bzw. Arbeitsplätze nur auf einem höheren Niveau, aber nicht mit besseren Chancen. … Eine bessere (Aus-)Bildung erhöht die Konkurrenzfähigkeit eines Heranwachsenden auf dem Arbeitsmarkt, ohne jedoch die Erwerbslosigkeit und die (Kinder-)Armut als gesellschaftliche Phänomene zu beseitigen. Dazu bedarf es der Umverteilung von Arbeit, Einkommen und Vermögen.“

Mir ist dieser Punkt auch immer wieder mal durch den Kopf gegangen. Die Antwort, die ich mir selbst gegeben habe: „Wenn alle Kinder mehr Bildung bekommen“, erhöhen sich gesellschaftlich die Chancen, neue, vielleicht sogar sozial gerechtere Lösungen für die Verteilung von Arbeit, Einkommen und Vermögen zu finden, oder? Deshalb ist es besser, wenn ein Professor der Politikwissenschaft diese Zweifel äußert.
Christoph Butterwegge, Frankfurter Rundschau, 3 Juni 2006
[Kategorien: Weiterbildung allgemein]

4 Responses to “Sozialstaat in Schleudergefahr”

  1. Jaroslaw Leszczynski

    Sehr geehrter Herr Dr. Robes
    als neulich Herr Munioz der UN-Sonderberichterstatter in Deutschland war, um das Recht der Benachteiligten auf Bildung einzuklagen, bin ich durch Herrn Dahrendorfs Rede zur Chancengleichheit auf das Bildungsparadoxon und den Begriff der Meritokratie aufmerksam geworden. Auch wenn es in akademischen Gemächern (noch) nicht salonfähig ist, Wikipedia zu zitieren, gibt das Lexikon unter dem Stichwort Bildungsparadox durchaus eine knappe aber gute Beschreibung der Problematik. Wenn die Idee, dass der Erwerb formaler Bildung sozialen Aufstieg ermögliche, in der heutigen Zeit als eine Ideologie sich selbst abschottender Pseudomeritokratie entlarvt wird, steigt die Bedeutung der Weiterbildung vielleicht um so mehr. Allerdings müssten sich die Anbieter von Weiterbildungsmöglichkeiten sozial Benachteiligte und Bürger mit Migrationshintergrund als „Kunden“ gewinnen und wirtschaftliche Reccourcen davon überzeugen, dass es sich loht zu investieren.

    Jaroslaw Leszczynski

  2. Helge Städtler

    Mit der Bildung ist es zum Teil wie im Fußballstadion, wenn einer vom Sitzplatz aufsteht um besser zu sehen und andere folgen müssen, weil sie plötzlich gar nichts mehr sehen (dahinter), dann stehen hinterher letztendlich alle unbequem und keiner sieht besser als vorher.

    Aber bei der Bildung kann kann man nur hoffen das dennoch ein paar vielleicht beginnen etwas zu sehen.

    Viel besser bringt meiner Ansicht nach der folgende Satz von Herrn Butterwegge das Problem auf den Punkt:

    „Weshalb sollte ausgerechnet zu einer Zeit, wo das Geld in fast allen Lebensbereichen wichtiger als früher, aber auch ungleicher denn je verteilt ist, seine Bedeutung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sinken?“

    Das Fazit von Herrn Butterwegge „Dazu bedarf es der Umverteilung von Arbeit, Einkommen und Vermögen.“ kann ich schon irgendwie nachvollziehen, dennoch sollte sich Herr Butterwegge als Wissenschaftler hier sicher zuerst die Frage stellen „Was hat denn zu der bisherigen Verteilung (die ja auch eine Umverteilung war) geführt?“ bevor ein Vorschlag unterbreitet wird, der nur ein Symptom kurieren kann, aber nicht dessen Ursache.

    Wer hier ein Problem im Geldsystem und nicht im Konstrukt des Sozialstaates vermutet, der findet möglicherweise unbequeme und nicht ganz so einfache Antworten bei http://www.geldreform.de

    Gruss,
    Helge Städtler

  3. Jochen Robes

    Danke für das schöne & aktuell passende Beispiel aus dem Fußballstadion! Ansonsten volle Zustimmung! Individuell führt kein Weg an der Bildung vorbei, gesamtgesellschaftlich bzw. marktwirtschaftlich sind es halt die Unwägbarkeiten eben dieses Marktes, die einfache Rechnungen durchkreuzen. So, denke ich, kann man auch Herrn Butterwegge lesen. Und davon können ja auch die Vielen, die in der Vergangenheit das „Falsche“ studiert haben, ein Lied singen. Aber ob ich vor dem Fußball die Geldreform noch schaffe … Beste Grüße, JR

Comments are closed.