Jochen Robes über Bildung, Lernen und Trends

Online Educa 2005

Gerade bin ich aus Berlin wiedergekommen, wo ich zuerst (Donnerstag) einen Tag auf der Online Educa verbracht habe. Es war mein erster Besuch, nachdem ich die Konferenz viele Jahre als vorwiegend akademische Veranstaltung ausgelassen hatte. Dabei hat sich das Programm der Online Educa in den letzten Jahren deutlich geöffnet, aber irgendwie hatte ich im November/ Dezember in der Regel keine Luft mehr für eine weitere Konferenz. Dieses Jahr hat es nun wenigstens für einen Tag geklappt, und es war wirklich beeindruckend, 1.800 interessierte Teilnehmer auf engstem Raum zu erleben. Es ist offensichtlich, dass sich die Online Educa auf europäischem Raum als Leitmesse bereits etabliert hat, und auch in den USA wird sie entsprechend gewürdigt, angefangen mit Keynote-Speaker Brandon Hall, Jay Cross (der ganz begeistert die Werbetrommel für die Online Educa schlägt!) bis zu den ASTD-, IBM- und Mircrosoft-Vertretern (um nur einige zu nennen), die sich auf den verschiedenen Sessions abwechselten.

Was habe ich an diesem Donnerstag mitgenommen? Nun, einmal natürlich die unzähligen Gespräche mit Kollegen und Freunden, das Networking, das ich nicht missen möchte; dann die Gelegenheit, zwei Experten aus den Staaten, Jay Cross und Brandon Hall, einmal live zu erleben; und zwei Vorträge, die mich besonders beeindruckt haben:

Zum einen die (erste) Keynote von Riccardo Petrella, einem Italiener, Wirtschafts- und Politikwissenschaftler, der in Belgien (Leuven) lehrt, und zwar „Globalisation“ and „Information Society“. Ich hatte noch nie etwas von ihm gehört, aber Werner Trotter, der die Press Relations auf der Online Educa organisierte, hatte ihn mir schon im Vorfeld wärmstens empfohlen. Ein Vortrag, ganz ohne Slides (!), aber engagiert und streitlustig. Was Riccardo Petrella in Frage stellte, war der scheinbar selbstverständliche Zusammenhang zwischen Bildung und Markt, Wettbewerb und Konkurrenz: Bildung, um „besser als andere“ zu sein, um „Employability“ sicherzustellen. Dagegen setzte er eine Bildung, die sich dem „besseren und friedvollen Zusammenleben“ widmet. Ich merke schon beim Schreiben, dass die kritischen Zwischentöne, die sich an vielen Stellen auch offen an die Zuhörer als „Mitspieler“ und „Gewinner“ richteten, hier kaum wiederzugeben sind. Aber ich werde mir das Werk, das in seiner Publikationsliste ganz oben steht („Limits to Competition“, The Lisbon Group, MIT Press, Boston, 1995) sofort besorgen. (Hier noch der Link zu einem Interview, das die Veranstalter im Vorfeld der Veranstaltung mit Riccardo Petrella geführt hatten.)

Das andere Highlight war der Auftritt von Wim Veen, der mit einer beeindruckenden multimedialen Performance den Saal zum Abschluss des Tages noch einmal richtig wachrüttelte. Wim Veen stellte den „Homo Zappiens“ vor, ein Konzept, auf das ich vor einiger Zeit bereits einmal gestoßen war. Mein Eindruck nach seinen spannenden Beschreibungen einer Welt, die mir (und den meisten Zuhörern generationsbedingt auch) völlig fremd ist: Das e-Learning, über das wir heute diskutieren, sind nichts anderes als Versuche, mit denen wir uns, die „digital immigrants“, den Möglichkeiten des Internets nähern. Dabei verlassen wir jedoch keine Sekunde unsere vertrauten Zonen, unsere Kultur des Lesens, des Nacheinander, der ungestörten Auseinandersetzung mit einem Thema. Mit dem Homo Zappiens, den Wim Veen beschrieb, hat das nichts zu tun. Unsere e-Learning-Programme werden ihn wie ihn unsere Bücher packen, nämlich nur als „Pflichtveranstaltungen“, die mangels Alternativen zur Kenntnis genommen werden. Wenn überhaupt! Da kommen noch spannende Übersetzungsprobleme auf uns zu!

Ansonsten habe ich noch in einige Sessions reingeschaut und dabei z.B. gesehen, wie Jay Cross zumindest versuchte, auf den Spuren von Homo Zappiens zu wandeln: Er moderierte, fotografierte und schrieb (in seinem Blog?) parallel und kämpfte offensichtlich noch mit seinem Jetlag. Wie auch immer, dadurch finden sich auf seinen Seiten heute schon erste Anmerkungen zur Online Educa. Und ich werde im nächsten Jahr sicher Zeit für mindestens zwei Tage mitbringen!
Online Educa 2005, 30 November – 2 Dezember 2005
[Kategorien: e-learning]