Jochen Robes über Bildung, Lernen und Trends

Bildung vor neuen Herausforderungen

Das ist nicht unbedingt eine angenehme Lektüre, die der Autor uns zumutet! Schon die einleitende Bestandsaufnahme ist differenziert und offen:

„Die gegenwärtige Gesellschaft durchlebt eine umfassende Neubewertung, Neustrukturierung und Neuverteilung einer globalisierten Arbeit, eine Neuorganisation der Sozialsysteme und einen Wandel kultureller Orientierungen. Kontinuierliche Erwerbsbiographien brechen ab, entstandardisieren sich und zwingen das Individuum zu Flexibilität und Balanceverhalten. Für immer mehr Mitglieder der Gesellschaft verschließen sich die Möglichkeiten, ständig am Erwerbsleben teilzunehmen, die Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen zur staatlichen Regulierung des Arbeitsmarkts reduzieren sich. Die Differenzierung zwischen den Regionen nimmt auch unter dem Einfluss sich verändernder demographischer Verhältnisse zu, einzelne Regionen müssen sich von Wachstumsvorstellungen lösen. Dieses Szenario enthält Chancen und öffnet Entwicklungsoptionen, beinhaltet aber zugleich Risiken und Gefährdungen nachhaltiger Entwicklung.“

Einige der Anforderungen, die Dieter Kirchhöfer daraus ableitet:
– Neue Inhalte und Wege von Bildung in der modernen Wissensgesellschaft sind notwendig, denn das gegenwärtige Bildungssystem ist nach wie vor „einseitig konzipiert, institutionell eng, abgeschlossen strukturiert und lehrorientiert.“
– Bildung ist nicht nur „Standortfaktor“, der Mensch nicht nur „Produktivkraft“, und „eine ausschließlich ökonomische Zwecksetzung von Bildung wird ökonomisches Wachstum auf die Dauer verwehren oder ausschließen“.
– Kompetenzen werden nicht gelehrt oder vermittelt, sondern in der eigenen Tätigkeit erworben, aber das ist wiederum kein Automatismus: „Zum Lernen zu ermutigen, heißt vor allem, Tätigkeiten zu ermöglichen, in denen das Individuum etwas lernen kann.“
– Dies wiederum ist Voraussetzung dafür, das Menschen selbst Verantwortung für ihre Lernprozesse übernehmen, oder, wie Dieter Kirchhöfer schreibt: „Das Individuum konstruiert letztlich seinen Bildungsweg.“
Lesen und griffbereit halten!
Dieter Kirchhöfer, QUEM-Bulletin, 5/2005 (pdf)
[Kategorien: Weiterbildung allgemein]

4 Responses to “Bildung vor neuen Herausforderungen”

  1. Robi

    Nach der zitierten Einleitung in der von gesellschaftlichem Wandel gesprochen wird (Für immer mehr Mitglieder der Gesellschaft verschließen sich die Möglichkeiten, ständig am Erwerbsleben teilzunehmen, die Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen zur staatlichen Regulierung des Arbeitsmarkts reduzieren sich.) kommt mir der Blick auf den Bildungsweg doch etwas zu kurz geschossen vor. In wie fern wechselwirken der individuelle Bildungsweg und die gesellschaftlichen Veränderungen?
    Einen umfangreichen und sehr interessanten Blick auf Arbeit und Flexibilisierung des Einzelnen bietet folgende Studie: Bosch, Gerhard / Schief, Sebastian / Schietinger, Marc, 2005: Trends in der Arbeitszeitpolitik: zur Diskussion um Dauer und Flexibilisierung der Arbeitszeit sowie der Insolvenzsicherung von Arbeitszeitguthaben.
    (Zu finden unter: http://www.iatge.de/aktuell/veroeff/2005/bosch04.pdf auf der Seite: http://www.iatge.de/publikation/neuerscheinung.php). Sehr erstaunlich finde ich, dass die Entwicklung der z.B. des Reallohns in den Ländern der EU sehr verschieden ist. In den letzten 9 Jahren stieg der Reallohn in Großbritannien um 25,2% in Deutschland sank er um 0,9%. Dies ist ein dramatischer Unterschied. Bildung ist wichtig aber wie kommt es zu solch verschiedenen Rahmenbedingungen?

  2. Jochen Robes

    Danke für den Lektüretipp!
    Die Frage nach den „Wechselwirkungen zwischen individuellen Bildungswegen und gesellschaftlichen Veränderungen“ möchte ich an dieser Stelle mal so aufnehmen: Man kann natürlich einfach mal hinnehmen, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau und dem gesellschaftlicheb Wohlstand der Bevölkerung gibt. Eine gewisse Plausibilität hat die Annahme ja.

    Man kann jetzt natürlich weitergehen und fragen, ob dieser Zusammenhang auch messbar und nachweisbar ist. Und da wird es, soweit ich sehe, etwas schwieriger. Was macht das Bildungsniveau einer Bevölerung aus? Bildungsökonomen setzen es z.B. mit dem Bestand an Humankapital gleich – gemessen an der durchschnittlichen Zahl der Ausbildungsjahre pro Kopf der Bevölkerung. Danach geht es uns im internationalen Vergleich immer noch sehr gut.

    Andere sagen, dass nicht der Bestand an Humankapital, sondern seine Wachstumsrate entscheidend für das Wachstum einer Volkswirtschaft sind. Mal unterstellt, dass es einen Zusammenhang zwischen Wachstumsrate und Wohlstand gibt, geht es uns aus dieser Perspektive vergleichsweise schlecht. Länder, die von einem niedrigeren Bildungsniveau aus starten (z.B. Indien oder Südafrika), haben es da „einfacher“, entsprechende Wachstumsraten zu erzielen.

    Aber aus meiner Sicht ist man mit diesen Überlegungen schnell bei dem Punkt, vor dem der Autor warnt, nämlich der „ökonomischen Zwecksetzung von Bildung“. Da erscheint es mir einfacher, von den positiven Implikationen von Bildung auszugehen – aus individueller Perspektive sowieso.

    Und was die unterschiedlichen Entwicklungen der Reallöhne in GB und D betrifft, hilft uns vielleicht jemand anders weiter.
    Abendliche Grüße
    JR

  3. Robi

    Vielen Dank für die Antwort. Der Begriff Humankapital ist mir auch durch den Kopf gegangen. Nun ich werde mich dann mal auf den Weg machen und versuchen das individuelle Bildungsniveau von ein paar armen Studenten zu erhöhen. 😉 („armen“, weil sie bei mir in die Übung gehen.)

Comments are closed.