Zu Tode gesiegt. Die berufliche Weiterbildung stirbt – und mit ihr eine ganze Denkschule
Wenn ich im Urlaub bin und Zeitung lesen will, versuche ich immer, eine Ausgabe der „Süddeutschen“ zu finden. Vielleicht, weil ich dort häufiger als anderswo Sätze wie diesen lesen kann: „Gewiss, Akademiker werden nicht so häufig arbeitslos wie Nicht-Akademiker, und sie werden seltener von polnischen Ausbeinern verdrängt.“ Aber nicht nur deswegen. In dem Artikel finden sich gelungene Formulierungen und zutreffende Beobachtungen gleichermaßen!
Zum einen einige Zahlen. So z.B.: „Die Zahl der Weiterbildungsteilnehmer ist in zwei Jahren auf ein Drittel geschrumpft, von 307.000 im Januar 2003 auf 114.017 im Mai 2005. Der entsprechende Etat der Bundesagentur wurde seit 2003 auf 1,85 Milliarden Euro halbiert.“
Zum anderen wird daran erinnert, dass es am Erfolg dieser Maßnahmen berechtigte Zweifel gab und gibt. „Als der Markt nach der Vereinigung explodierte, wurden bis zu einer halben Million Menschen durch die Kurse geschleust.“ Mit ungewissem Ausgang. Oder, wie es im Artikel heisst, „man weiß, dass der Rohstoff Bildung im großen Stil verramscht, verschleudert und entwertet wurde.“
So weit, so gut bzw. bekannt. Aber wie soll es weitergehen, fragt die Autorin. Auf jegliche (geförderte) Weiterbildung ganz verzichten, so lange ein Erfolg (sprich: Arbeitsplatz) nicht garantiert werden kann? Weiter an der Effizienzschraube in der Weiterbildung drehen, bis nur noch einige Alibiveranstaltungen übrigbleiben? In einem Artikel des darauf folgenden Tages („Plötzlicher Bildungshunger“ v. 1. Juli 2005) ist übrigens die Rede von 25 Milliarden Euro, „die jedes Jahr zusätzlich in den Bildungssektor investiert werden müssten, um im internationalen Wettstreit aufzuholen“! Heißt das, weg von der Breitenförderung, hin zu Studiengebühren und Spitzenforschung?
In der aktuellen Situation scheinen nur die Widersprüche sicher zu sein: Akademiker werden seltener arbeitslos als Nicht-Akademiker, aber löst eine höhere Akademikerquote das Problem von Millionen fehlender Arbeitsplätze? Sind Bildung und lebenslanges Lernen überhaupt eine Lösung, wenn Arbeitgeber sich grenzüberschreitend bedienen können?
„Gegen die Härten einer globalisierten Welt, so heißt es trotz allem, helfe nichts außer Bildung. Aber welchen Sinn hat es, fragen Leidgeprüfte, sich durch eine Physiotherapeuten-Ausbildung zu quälen, wenn es vielen Firmen vor allem darum geht, ob die Kollegen aus Osteuropa den Job für zwei Euro weniger erledigen? Wofür Office pauken, wenn der Betrieb demnächst in Tschechien fertigen lässt?“ Am besten lesen, solange der Artikel online ist!
Sonja Zekri, Süddeutsche Zeitung, 30 Juni 2005
[Kategorien: Weiterbildung allgemein]
One Response to “Zu Tode gesiegt. Die berufliche Weiterbildung stirbt – und mit ihr eine ganze Denkschule”
Staudt et al hatten schon 1999 im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft QUEM eine Ursachenanalyse zu den Grenzen traditioneller Weiterbildung vorgelegt: »Weiterbildung: Ein Mythos zerbricht.« Wenn man deren Arbeiten gelesen hat, z.B. auch den Band »Kompetenzentwicklung und Innovation«, dann wundert man sich höchstens nur noch darüber, wie genau ihre Arbeiten die heutige Weiterbildungssituation vorweggenommen haben.
Apropos arbeitslose Akademiker: Staudt et al begründen die große Zahl an jungen, innovativen Biotechnologieunternehmen mit einem »Überangebot« an Uniabsolventen im Bio- und Chemiebereich in den 90-ern Jahren. D.h. nur ein Bruchteil der Akademiker konnte damals mit einer Festanstellung in ihrem Bereich rechnen. Staudt et al stellten die These auf, dass nur dort wirkliche Innovationen geschehen, wo ein Überangebot an Kompetenzen herrscht und nur ein Teil dieser Kompetenzen damit rechnen kann, in ihrem eigen Berufsfeld in der Wirtschaft unterzukommen.
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