Jochen Robes über Bildung, Lernen und Trends

Über die Wissensgesellschaft

Momentan arbeite ich mich gerade durch verschiedene Schriften zur Bildungsökonomie und Bildungsrendite. Ein schwieriges Metier, weil die Gräben zwischen denen, die Bildung als Investition betrachten, und denen, die darauf beharren, dass es auch „außerökonomische Sachverhalte“ gibt, tief sind. Hinzu kommt, dass man mit jeder Lektüre sofort mit beiden Beinen in der Diskussion um Hochschulreformen und Studiengebühren steckt. Aber das Ganze ist ein noch junges, spannendes und offenes Feld! Wer übrigens einen Einstieg wagen will, dem sei die Studie von Andreas Ammermüller und Dieter Dohmen („Private und soziale Erträge von Bildungsinvestitionen“, 2004; pdf) empfohlen.

„Bildungsökonomie“ ist das Stichwort. Zufällig habe ich nämlich heute die Rubrik „Seziertisch“ in meinem Rundschau-Abonnement gelesen, in der sich Georg Fülberth, emeritierter Politikprofessor aus Marburg, regelmäßig mit dem herrschenden, neoliberalen Mainstream auseinandersetzen darf. Heute ging es um die „Wissensgesellschaft“, und ich muss einige Sätze zitieren, weil die Rundschau sich nicht traut, auch online mit diesen Thesen zu werben.

Investitionen in Bildung und Forschung sind ja gut und wichtig, so steigt Fülberth ein, aber mit welchen Folgen können und müssen wir denn rechnen? Zum einen sagt Fülberth: „Mit mehr Beschäftigung hat das alles aber zunächst nichts zu tun, zumindest nicht im Selbstlauf. Prozessinnovation – die Steigerung der Produktivität – kann Jobs kosten, wenn nicht die Arbeitszeit gesenkt wird. Wird sie verlängert, weist dies auf Defizite an öknomischem oder technologischem Wissen hin. Durchsetzung neuer Produkte schafft Arbeitsplätze und beseitigt zugleich Stellen in den herkömmlichen Industrien. Beides kennzeichnete den Durchbruch der Informationstechnologie in den 80er und 90er Jahren.“

Und weiter geht’s: „Wer besser ausgebildet ist, hat einen Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt. Das heisst aber auch: er (oder sie) kann andere überholen, die den begehrten Job dann eben nicht bekommen. Sind beide gleich gut und bleibt das Angebot an Arbeitsplätzen unverändert, gibt es einen Gewinner und einen Verlierer.“

Und, etwas später, bringt der Autor Bildungs- und Wirtschaftspolitik zusammen: „Soll in Bildung und Forschung möglichst viel investiert werden? Ja. Entstehen dadurch mehr Arbeitsplätze als bisher? Nicht unbedingt, sondern nur dann, wenn zugleich eine wirtschaftspolitische Anstrengung unternommen wird, die beides zusammenbringt. Was ist nötig, um eine solche Lösung zu finden? Ziemlich viel Wissenschaft.“

Das sind genau die Fragen und Gedanken, die mir auch durch den Kopf gehen, wenn in Talkshows – ohne Luft zu holen – ein Zusammenhang zwischen Bildung, Produktivität, Wachstum und Abbau von Arbeitslosigkeit hergestellt wird. Schön, dass mal einer diesen Automatismus zum Thema macht.
Frankfurter Rundschau, 26 November 2004
[Kategorien: Weiterbildung allgemein, Bildungsökonomie]

2 Responses to “Über die Wissensgesellschaft”

  1. Jochen Heins

    Hallo Herr Robes,

    zwei Punkte Ihrer Zitate reizen zur (kurzen) Stellungnahme:

    1) „Sind beide gleich gut und bleibt das Angebot an Arbeitsplätzen unverändert, gibt es einen Gewinner und einen Verlierer.“ – Nach meiner Beobachtung werden sehr oft Arbeitsplätze nur vordergründig objektiv nach Qualifikation vergeben (wie bewerten Sie diese, ist eine „1“ im Abitur immer besser als eine „2“?), der Mensch ist ein über die millionen Jahre laufende Evolution sozial eingebettetes Tier, von daher greifen psychologische Faktoren viel stärker als manchen Theoretiker lieb ist. Bildung ist kein Automatismus, Bildung ist für die eigene Souveränität und fundierte Verantwortlichkeit eigenen Handelns enorm wichtig – aber die Debatte greift im Fokus auf Bildung zu kurz. Wir setzten keine (neurologischen) Softwareprogramme oder Datenbanken auf Arbeitsplätze, sondern Menschen! Und diejenigen, die diese Besetzung vornehmen, sind ebenfalls Menschen!

    2) „Entstehen dadurch mehr Arbeitsplätze als bisher? Nicht unbedingt, sondern nur dann, wenn zugleich eine wirtschaftspolitische Anstrengung unternommen wird, die beides zusammenbringt.“ – Wenn der (tatsächlich?) besser qualifizierte den Arbeitsplatzzuschlag erhält, sollte je nach Niveau der Stelle und Potenzial der Karriereleiter dahinter davon auszugehen sein, dass Bildung langfristig Arbeitsplätze schafft, nämlich, wenn diese Person neue Märkte erschließt, besser auf komplexe Marktwidrigkeiten reagiert als ggf. andere, oder bestehende Märkte auf Basis des Know-Hows konsequent weiter ausbaut. Genauer: Das Potenzial/die Wahrscheinlichkeit für die Schaffung neuer Arbeitsplätze steigt. S. auch „Souveränität des Handelns“ oben.

    Eine ernstzunehmende Diskussion um eine „Bildungsrendite“ kann meiner Meinung nach daher nur von Wahrscheinlichkeitsmodellen ausgehen. Ein Modellversuch aus 1+1=2 zu machen scheitert, weil die Grundannahme 1=1 falsch ist, denn die eine Eins ist der psychologisch soziale Mensch und die andere Eins ist der gebildete Mensch.

    Mit freundlichem Gruß
    J. Heins

  2. Jochen Robes

    Beim ersten Punkt stimme Ihnen voll und ganz zu, Herr Heins. Allerdings macht Georg Fülberth die „einfache“ Rechnung auf, dass sich zwei Personen um einen Arbeitsplatz bewerben. Und das ist immer ein Arbeitsplatz zu wenig, auch mit Blick auf die von Ihnen zu Recht angeführten psychologischen Faktoren.

    Was „das Potenzial/die Wahrscheinlichkeit für die Schaffung neuer Arbeitsplätze“ betrifft, die mit der „Souveränität des Handeln“ steigen sollte, so ist das sicher das plausibelste Szenarium. Und auch Fülberth denkt ja nicht im Traum daran, die Notwendigkeit vermehrter Bildungsanstrengungen in Frage zu stellen. Aber leider kann im Zeitalter der Globalisierung und der Kosteneffizienz die Gleichung immer auch anders fortgeschrieben werden: So haben die meisten DAX 30 – Unternehmen in den letzten Jahren ihre Belegschaften dramatisch „verschlankt“, allen Diskussionen um Verlängerung der Lebensarbeitszeit zum Trotz sind Mitarbeiter über 50 zu einer seltenen Spezies geworden und Outsourcing- und Offshoring-Meldungen überholen sich gegenseitig, so dass positive Effekte eines qualifizierten Managements (z.B. im Sinne des Shareholder Value) so oder eben auch anders aussehen können. Und ich glaube, hier liegt die zentrale Botschaft des Marburger Politikprofessors: dass man bei einfachen, „kausalen“ Argumentationslinien hellhörig wird und lieber erst mal nach möglichen Nebenwirkungen fragt. Umso besser, wenn es so kommt, wie von uns allen erhofft.

    Viele Grüße
    JR

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