Jochen Robes über Bildung, Lernen und Trends

Die Sache mit der Bildung

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„Akademische Lebensferne“ werfen Kritiker den Römerberggesprächen vor. Das konnte ich jedenfalls beim Frühstück noch in der Frankfurter Rundschau lesen, bevor ich mich einige Minuten später zur 31. Auflage dieser Veranstaltung ins Frankfurter Schauspielhaus aufmachte. Denn es ging um Bildung, genauer: „Die Sache mit der Bildung. Versuche über Lernen und Leben.“ Sprechen sollten u.a. Ivan Nagel und Jürgen Mittelstraß. Wie war’s nun mit der „akademischen Lebensferne“?

Ja und Nein. Auf der einen Seite, und wenn ich die Biographien der Referenten richtig lese, waren es durchweg „Bildungsbeamte“ aus Schule, Hochschule und Auswärtigem Dienst, die da über Bildung nachdachten. Bildungsbeamte der Jahrgänge 1931 bis 1955 übrigens, so dass das Publikum vor jugendlichem Bildungsbegehren oder utopischen Bildungsvisionen doppelt gesichert war. Und auch der Rahmen der Veranstaltung schien so gewählt, dass Störungen von außen unwahrscheinlich waren. Sprich: Weitere Akteure des Bildungsmarktes oder gar Verlierer unserer Bildungsinstitutionen waren an diesem Samstagmorgen im Chagall-Saal wohl in der Minderheit. Auf der anderen Seite, und das spricht gegen die „akademische Lebensferne“, gab es nicht nur Reflexionen über Bildung, sondern auch handfeste Bildungsproduktion und -praxis, und die Vertreter dieser beiden Richtungen hätten kaum unterschiedlicher sein können. Aber der Reihe nach …


Reflektieren über den Stand der Bildung
Es war der Vormittag, der dem Nachdenken über Bildung gewidmet war. Zuerst warnte der Theatermann Ivan Nagel vor einer Bildung und Weiterbildung, die sich „flexibel“ nur an dem orientiert, was der Arbeitsmarkt gerade fordert. „Grenzenlose Anpassung“, „panische Mobilität“ und „wesenlose Verwendbarkeit“ nannte er das. Dann kam der Philosoph Jürgen Mittelstraß, der sich kritisch mit dem Bildungssystem bzw. Hochschulsystem beschäftigte. Dabei setzte er die „Idee“ der Universität gegen aktuelle Verschulungstendenzen und ihre Unterordnung unter ein Marktparadigma. Am besten hat mir in diesem Zusammenhang folgendes Statement gefallen:

„In der Selbstauslegung der Wissensgesellschaft als Dienstleistungsgesellschaft, in der alle Produktionsvorgänge wieder in reine Tauschvorgänge überzugehen scheinen, ist jeder jedem in irgendeiner Weise zu Diensten, auch der Wissenschaftler, der sein Handwerk nicht mehr in der Produktion von Wissen, in der intelligenten Arbeit am Wissen, sondern als dessen Manager, Anbieter und Verkäufer versteht. Wissen online ist alles; die Vorstellung, dass Wissen zunächst einmal etwas ist, das unter hohen Anforderungen entdeckt, hergestellt, bearbeitet und erworben werden muss, das unter anderen Bedingungen als denjenigen eines durchgehenden Ökonomismus steht, geht verloren. Wissen, so scheint es, kommt aus dem Computer wie das Licht aus der Steckdose. Die Frage, wie das Wissen in den Computer – oder, in unserem Zusammenhang: in die Universität – kommt, scheint ebenso uninteressant zu werden wie für viele die Frage, wie der Strom in die Steckdose kommt.“

Anschließend sprach Rafael Capurro, Professor für Informationsethik (!), aber sein Referat steht online (hier). Dann kam Manfred Osten, aber hier muss ich zugeben, dass ich es nicht geschafft habe, in der Abfolge von Goethe-Zitaten einen roten Faden zu entdecken. Immerhin sprach er 45 Minuten ohne Manuskript!

Aus der laufenden Produktion einer Bildungsinstitution
Am Nachmittag ging es im Frankfurter Schauspielhaus dann weniger um Bildung und mehr um’s Lernen. Zuerst mit Anna Katharina Braun, Neurobiologin aus Magdeburg, die es irgendwie geschafft hatte, die Veranstalter vom Einsatz eines Notebooks und Beamers zu überzeugen – mit der Konsequenz, dass sie ihren engagierten Vortrag mit dem Rücken zum Publikum halten musste. (Man ist halt in Frankfurt doch eher auf Goethe-Zitate vorbereitet!) Ihr Titel: „Wie Gehirne laufen lernen – Was kann die Hirnforschung zur Erziehung und zur Schulbildung beitragen?“ Spannend! Ich zitiere die Zusammenfassung des Vortrags:

„Lernen in frühester Jugend unterscheidet sich vom Lernen bei Erwachsenen darin, dass Erfahrungen und Lernprozesse im kindlichen Gehirn viel massivere und auch dauerhaftere Spuren hinterlassen als im erwachsenen Gehirn … Tierexperimentelle Forschungsergebnisse aus der Hirnforschung weisen darauf hin, dass frühe Sinneseindrücke, Erfahrungen und Lernprozesse hirnbiologisch betrachtet dazu ‚benutzt’ werden, die Ausreifung der noch unreifen funktionellen Schaltkreise, insbesondere des limbischen ‚Belohnungs’-Systems im Gehirn zu optimieren.“

Aber das Referat gibt es auch online (hier), so dass sich jeder selbst ein Bild davon machen kann, wie eine zukünftige Neuropädagogik aussehen könnte, die auf diesen Erkenntnissen aufbaut.

Bildung als Erfolgsmodell
Den Schluss, vielleicht sollte man besser sagen: Höhepunkt, bildete Enja Riegel. Ihre Presseankündigung lautete: „An dem konkreten Beispiel einer deutschen Schule, die bei PISA überdurchschnittlich gut abgeschnitten hat, wird deutlich gemacht, welche Bedingungen notwendig sind, damit Kinder in der Schule mit Freude und Erfolg lernen und sich bilden“. Die Schule ist die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden. Ich glaube, jeder der Anwesenden war nach ihrem Vortrag von diesem Erfolgsmodell überzeugt (die meisten, mich ausgenommen, kannten es natürlich schon …) Warum aber die Schulbehörden an der Nachahmung dieses Modells nicht interessiert sind, so jedenfalls Enja Riegel, darüber würde ich gerne mehr erfahren. Es klang durch, als ob die Mehrarbeit der (verbeamteten) Lehrer, die dieses Schulkonzept mit sich bringt, der bzw. ein Knackpunkt sei. Vielleicht sind Bildung und Beamtentum halt doch Gegensätze!
[Kategorien: Weiterbildung allgemein]